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Wolf­gang Ull­rich
Im April 2025 

Malerei als Ontolo­gie. Chris­t­ian Mack­e­tanz und das große Dazwischen

Klänge es nicht nach einem Defiz­it, ließe sich sagen, dass die Gemälde von Chris­t­ian Mack­e­tanz Bilder ohne Hin­ter­gründe sind. Dabei kann aus dem, was fehlt, eine eigene Qual­ität, eine große Stärke wer­den. Dass eine Szene bei Mack­e­tanz zwar in ein­er Land­schaft ange­siedelt sein mag, man aber nicht in die Ferne schauen kann, weil Nacht ist oder dichter Nebel herrscht, oder dass direkt hin­ter ein­er Fig­ur in einem Innen­raum eine Wand ist, man also keinen in die Tiefe reichen­den Raum vor sich hat, kom­prim­iert das jew­eilige Bildgeschehen, rückt es aber auch ganz in die Nähe: als spielte es sich unmit­tel­bar vor einem ab. Damit wirkt es umso dringlich­er, und dass man sich ihm nicht zu entziehen ver­mag, sich manch­mal ger­adezu bedrängt fühlt, gesteigert noch durch Mack­e­tanz’ oft große Bild­for­mate, sorgt für den Ein­druck stark­er Präsenz. Das Bild ist hier nicht nur Abbild, und es lässt dem Auge ger­ade nicht beliebige Frei­heit. Vielmehr geht von jedem einzel­nen Sujet der Imper­a­tiv aus, sich damit auseinan­derzuset­zen, es unbe­d­ingt für bedeut­sam und wichtig zu halten.

Auf diese Weise ver­lei­ht Chris­t­ian Mack­e­tanz zugle­ich dem Einzel­bild eine Vir­u­lenz, die sel­ten gewor­den ist. Während viele höch­stens noch ein­er Bilder­serie zutrauen, eine Bedeu­tung zu entwick­eln und zu ver­mit­teln, und während andere auf das bewegte Bild, oft in Kom­bi­na­tion mit Ton und Stimme, set­zen, verge­gen­wär­tigt bei Mack­e­tanz jedes Gemälde für sich allein ein The­ma oder Geschehen. Es genügt sich jew­eils selb­st, hat Gültigkeit, ohne ein­er Ergänzung von außen zu bedür­fen, und ist in diesem Sinne autonom. 

Kön­nte die forcierte Bild­präsenz dazu ver­wen­det wer­den, den Betrachter:innen eine bes­timmte Sichtweise, gar ein Pro­gramm aufzuzwin­gen, kom­men in den Wel­ten, die sich in Mack­e­tanz’ Gemälden ent­fal­ten, jedoch vor allem Schwe­bezustände und Ambivalen­zen zur Erschei­n­ung. Der Anspruch auf Bedeut­samkeit mün­det nicht in Bildsym­bol­en mit klar decodier­baren Botschaften; eher ist man in Reiche des Dazwis­chen ver­set­zt. So gibt es auf den Bildern immer wieder Wesen zwis­chen Men­sch und Tier, Fig­uren zwis­chen Mann und Frau, Szenen zwis­chen Gewalt und Zunei­gung, Atmo­sphären zwis­chen Düster­n­is und Heit­erkeit. In der Summe wirkt das, als habe Chris­t­ian Mack­e­tanz die Sehn­sucht, befre­it von fes­ten, nor­ma­tiv­en Kat­e­gorien, ohne Pole und Gegen­satz­paare leben zu kön­nen – als hege er vielle­icht sog­ar die meta­ph­ysis­che Hoff­nung, jen­seits ein­deutiger Zuschrei­bun­gen lasse sich eine höhere Wahrheit finden.

Selb­st einzelne his­torische Fig­uren, denen er auf seinen Bildern ein Denkmal set­zt, scheinen so gewählt, dass sie für eine Idee des Dazwis­chen ste­hen. Als Bild im Bild (im Gemälde „Sum­mer 20“) taucht auf ein­er Wand zwis­chen zahlre­ichen anderen Bildern und größer als diese etwa Edith Stein auf, die ihrer­seits zuerst als Jüdin und dann als Christin, let­ztlich aber als Ver­mit­t­lerin zwis­chen bei­den Reli­gio­nen gewirkt hat. Im Zen­trum eines anderen Gemäldes ste­ht mit Rabia von Bas­ra eine islamis­che Mys­tik­erin des 8. Jahrhun­derts, die der Leg­ende nach davon sprach, Wass­er in die Hölle gießen und Feuer im Paradies leg­en zu wollen, um bei­dem seine ein­deutige Wer­tigkeit zu nehmen. Nie­mand mehr würde Gott dann nur deshalb anbeten, um der Hölle zu ent­ge­hen oder um ins Paradies zu kom­men. Ohne die Pole des Bösen und des Guten, ja ohne Ein­deutigkeit­en wäre es gemäß Rabia von Bas­ra möglich, wirk­liche Schön­heit zu erken­nen. Diese ist also im Dazwis­chen: dort, wo alles ambiva­lent ist.

Auf dem Gemälde „The wait­ing-room“ ver­sam­melt Mack­e­tanz sog­ar Stifter und Vertreter:innen ver­schieden­er Reli­gio­nen, von Jesus Chris­tus bis zu Krish­na, zeigt sie beim gemein­samen Flöten­spiel und man­i­festiert so die Utopie ein­er Welt, in der ide­ol­o­gis­che Gegen­sätze aufge­hoben sind und alle sich in einem Dazwis­chen, einem ‚Com­mon Ground’ tre­f­fen, den man sich sein­er­seits als einen Ort zwis­chen All­mende und ‚Safe Space’ vorstellen darf. Ord­net Mack­e­tanz die Fig­uren an diesem Ort sog­ar nicht nur neben‑, son­dern genau­so hin­tere­inan­der an, schafft hier also dur­chaus Bildtiefe und einen Hin­ter­grund, so zieht er diesen zugle­ich nach vorne, blickt von dort aus doch ein großes Augen­paar aus dem Bild – so groß, als wären die ver­gle­ich­sweise viel kleineren Fig­uren im Vorder­grund weit­er ent­fer­nt. Damit über­windet Chris­t­ian Mack­e­tanz bei diesem Bild sog­ar den Gegen­satz von Nähe und Ferne und macht das Dazwis­chen auch als Tran­szendierung des geometrischen Raums erfahrbar. (Einen ähn­lichen Effekt gibt es bei „Par­adise Island“.)

Generell sind die Bil­dräume auf Mack­e­tanz’ Gemälden eher in der Tra­di­tion ein­er Bedeu­tungsper­spek­tive als ein­er Zen­tralper­spek­tive zu ver­ste­hen. Da es auf seinen Bildern im Unter­schied zu ein­er mit­te­lal­ter­lichen Malerei aber ger­ade keine Abstu­fun­gen zwis­chen Wichtigerem – Bedeu­tungsvollerem – und weniger Wichtigem – Unbe­deu­ten­dem –, keine Hier­ar­chisierun­gen und For­men der Über- und Unterord­nung gibt, erscheint bei ihm alles, was er malt, als ontol­o­gisch gle­ichrangig. Und damit ver­langt er seinem Pub­likum viel ab, über­fordert einige vielle­icht sog­ar, da sie so behar­rlich darin trainiert sind, immer zwis­chen Haupt- und Neben­säch­lichem, Pos­i­tivem und Neg­a­tivem, Großem und Kleinem zu tren­nen. Für sie (aber auch für alle anderen) kön­nen die Gemälde von Chris­t­ian Mack­e­tanz daher zu einem Exerz­i­tium wer­den: zu ein­er Übung darin, herkömm­liche Wer­tun­gen zu über­winden und alles, für so unbe­deu­tend es son­st gehal­ten wer­den mag, gle­icher­maßen ernst zu nehmen.

Zugle­ich sind in Bil­dräu­men, in denen keine geometrische Ord­nung herrscht, deren Lim­i­tierun­gen sus­pendiert. ‚Oben’ und ‚unten’ kön­nen daher genau­so egal wer­den wie ‚vorne’ und ‚hin­ten’, und auf eini­gen Gemälden von Mack­e­tanz sieht es so aus, als gebe es keine Schw­erkraft mehr. So find­en sich die Wurzeln bei „Roots“ am oberen Bil­drand, als wür­den Bäume vom Him­mel in die Erde wach­sen, und bei „Night­flow­ers“ oder „Red Leaves“ scheint jede Rich­tung aufge­hoben: alles über­all­hin in Bewe­gung zu sein. 

Ins­ge­samt geht von Mack­e­tanz’ Gemälden also die Ver­heißung ein­er Welt ohne Gren­zen aus. Man kann (und mag) nicht ein­mal mehr entschei­den, ob es irdis­che oder überirdis­che Ver­hält­nisse sind, die hier sicht­bar wer­den. Und so ver­traut alles anmutet, so befremdlich wirkt es. Am ehesten ken­nt man ein solch­es Sowohl-als-Auch aus dem Traum. Oder han­delt es sich vielle­icht, im Gegen­teil, um ein Wed­er-Noch? Aber selb­st hier kön­nte es bei­des zugle­ich sein, und die Malerei von Chris­t­ian Mack­e­tanz ließe sich dann beschreiben als der große Ver­such, das, was etwas nicht ist, für eben­so wichtig zu hal­ten wie das, was es ist.

ideenfreiheit.de

 

Paint­ing as Ontol­ogy: Chris­t­ian Mack­e­tanz and the Great In-Between

Were it not for the sug­ges­tion of a defi­cien­cy, one might say that Chris­t­ian Macketanz’s paint­ings are images with­out back­grounds. Yet from what is absent, a unique qual­i­ty, a great strength, can emerge. Even when a scene in a Mack­e­tanz paint­ing is set in a land­scape, the view­er can­not look into the distance—because it is night, or a thick fog hangs in the air—or a wall imme­di­ate­ly behind a fig­ure in an inte­ri­or pre­vents any spa­tial depth from unfold­ing. This com­press­es the pic­to­r­i­al event but also brings it clos­er: as though it were hap­pen­ing right in front of us. This height­ens the sense of urgency, and the fact that one can­not evade the image—sometimes even feels besieged by it—is inten­si­fied by Macketanz’s often large for­mats, cre­at­ing a strong impres­sion of pres­ence. The image is not mere­ly a depic­tion, nor does it allow the eye free rein. Rather, each sub­ject car­ries an imper­a­tive: to engage with it, to regard it as unde­ni­ably sig­nif­i­cant and important.

In this way, Chris­t­ian Mack­e­tanz lends the indi­vid­ual paint­ing a vital­i­ty that has become rare. While many now trust only a series of images to devel­op and con­vey mean­ing, and oth­ers turn to mov­ing images—often paired with sound and voice—each paint­ing by Mack­e­tanz stands entire­ly on its own. It is self-suf­fi­cient, valid with­out the need for exter­nal addi­tions, and in this sense, autonomous.

Though this height­ened pres­ence of the image could be used to impose a par­tic­u­lar viewpoint—or even an ide­o­log­i­cal program—what unfolds in the worlds of Macketanz’s paint­ings are above all states of sus­pen­sion and ambiva­lence. The claim to sig­nif­i­cance does not cul­mi­nate in pic­to­r­i­al sym­bols with clear­ly decod­able mes­sages; rather, one is trans­port­ed into realms of the in-between. Again and again, his paint­ings depict beings some­where between human and ani­mal, fig­ures between male and female, scenes between vio­lence and ten­der­ness, atmos­pheres between gloom and cheer. Alto­geth­er, it seems as if Chris­t­ian Mack­e­tanz har­bors a long­ing to live beyond fixed, nor­ma­tive categories—without poles or bina­ry oppositions—as if he even holds a meta­phys­i­cal hope that beyond clear clas­si­fi­ca­tions, a high­er truth might be found.

Even the his­tor­i­cal fig­ures he memo­ri­al­izes in his paint­ings seem cho­sen to embody the idea of the in-between. In the paint­ing Sum­mer ’20, for instance, Edith Stein appears as an image with­in an image—on a wall among numer­ous oth­er pic­tures, and larg­er than the rest. Stein her­self first lived as a Jew, then as a Chris­t­ian, but ulti­mate­ly act­ed as a medi­a­tor between the two reli­gions. At the cen­ter of anoth­er paint­ing stands Rabia of Bas­ra, an Islam­ic mys­tic of the 8th cen­tu­ry who, accord­ing to leg­end, want­ed to pour water on hell and set fire to par­adise, so that nei­ther would have a clear val­ue any­more. No one would then wor­ship God mere­ly to escape hell or to enter par­adise. With­out the poles of good and evil, with­out clear dis­tinc­tions, it would then be possible—according to Rabia of Basra—to rec­og­nize true beau­ty. Beau­ty, then, is found in the in-between: where every­thing is ambivalent.

In the paint­ing The Wait­ing-Room, Mack­e­tanz even brings togeth­er founders and rep­re­sen­ta­tives of var­i­ous religions—from Jesus Christ to Krishna—depicting them play­ing the flute togeth­er. This man­i­fests a utopia of a world in which ide­o­log­i­cal oppo­si­tions have been dis­solved and every­one meets in an in-between space, a com­mon ground that can itself be imag­ined as a place some­where between a com­mons and a safe space. Mack­e­tanz arranges the fig­ures in this space not only side by side, but also one behind the oth­er, thus cre­at­ing gen­uine pic­to­r­i­al depth and a background—yet at the same time, he pulls that back­ground for­ward, as a large pair of eyes gazes out from it, so immense that the com­par­a­tive­ly much small­er fig­ures in the fore­ground appear to be far­ther away. With this, Chris­t­ian Mack­e­tanz tran­scends even the oppo­si­tion of near­ness and dis­tance, mak­ing the in-between pal­pa­ble as a tran­scen­dence of geo­met­ric space (a sim­i­lar effect can be seen in Par­adise Island).

In gen­er­al, the pic­to­r­i­al spaces in Macketanz’s paint­ings fol­low the tra­di­tion of a per­spec­tive of mean­ing rather than lin­ear per­spec­tive. But unlike medieval paint­ing, his work avoids gra­da­tions of importance—no hier­ar­chy, no struc­tures of dom­i­nance or sub­or­di­na­tion. Every­thing he paints appears onto­log­i­cal­ly equal. This demands much from the view­er, per­haps even over­whelms some, as they are so thor­ough­ly trained to dis­tin­guish between what is cen­tral and periph­er­al, pos­i­tive and neg­a­tive, large and small. For them—and for oth­ers, too—Macketanz’s paint­ings can thus become an exer­cise: a prac­tice in over­com­ing con­ven­tion­al eval­u­a­tions and tak­ing every­thing seri­ous­ly, no mat­ter how insignif­i­cant it might oth­er­wise seem.

At the same time, in pic­to­r­i­al spaces where geo­met­ric order is sus­pend­ed, its lim­i­ta­tions are like­wise lift­ed. “Above” and “below” can become just as irrel­e­vant as “in front” and “behind,” and in some of Macketanz’s paint­ings, it even appears as if grav­i­ty no longer exists. In Roots, for exam­ple, the roots are found at the top edge of the paint­ing, as if trees were grow­ing from the sky into the earth. And in Night­flow­ers or Red Leaves, direc­tion­al ori­en­ta­tion seems to dis­solve alto­geth­er: every­thing appears in motion, in every direction.

Over­all, Macketanz’s paint­ings promise a world with­out bound­aries. One cannot—and per­haps does not wish to—decide whether what becomes vis­i­ble is of this world or anoth­er. And for all its famil­iar­i­ty, it remains dis­con­cert­ing. Such both/and con­di­tions are most famil­iar from dreams. Or is it, con­verse­ly, a neither/nor? But even here, it might be both at once—and Macketanz’s paint­ing could then be described as the great attempt to regard what some­thing is not as just as impor­tant as what it is.

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